Polizisten, Rettungssanitäter und Feuerwehrleute haben es in diesen Tagen nicht leicht: Bei Einsätzen werden sie behindert, beschimpft oder gar verletzt. Mittlerweile geht es für sie nicht mehr nur um das Leben derer, denen sie helfen, sondern auch um das eigene.
Gleichzeitig sind bei jedem Einsatz sofort Gaffer zur Stelle, die ungefiltert sämtliche Fotos und Videos ins Internet stellen. Der Ravensburger Kreisbrandmeister Oliver Surbeck sieht diese Entwicklung mit Sorge. Im Interview mit Jasmin Bühler berichtet er von Erfahrungen mit Querulanten, Voyeuren und Bordsteinkommandanten.
Herr Surbeck, Rettungskräfte werden bei Einsätzen vermehrt behindert oder angefeindet. Kennen Sie das aus eigener Erfahrung?
Das erste Mal persönlich aufgefallen ist mir das Anfang der 1990er-Jahre. Damals war ich bei der Feuerwehr in Ettlingen. Ein Mann wollte nachts um 3.30 Uhr Suizid begehen und aus dem sechsten Stock springen. Wir haben ein elektrisch betriebenes Sprungkissen aufgebaut, das mit einem Aggregat betrieben wird. Plötzlich haben wir gemerkt, dass das Sprungkissen in sich zusammenfällt.
Was war passiert?
Ein Nachbar hatte das Stromaggregat abgestellt, weil es ihm zu laut war und er schlafen wollte.
Und wurden Sie schon mal verletzt oder beleidigt?
Während meiner Zeit bei der Berufsfeuerwehr in Chemnitz ist unser Löschzug einmal in einen Hinterhalt gelockt worden. Die Täter hatten auf einem Campingplatz ein Zelt angezündet und die Feuerwehr gerufen. Als wir dort waren, haben sie uns mit Leuchtspurmunition beschossen. Verletzt wurde niemand, aber an den Fahrzeugen hat das erhebliche Schäden angerichtet.
Jetzt liegen Ettlingen und Chemnitz aber nicht im Kreis Ravensburg. Kommt so etwas hier auch vor?
Im Kreis Ravensburg habe ich das in dieser Schärfe Gott sei Dank bislang noch nicht beobachtet. Zwar kommt es hin und wieder zu verbalen Anfeindungen, tatsächliche körperliche Angriffe auf Feuerwehrangehörige unseres Landkreises sind aber die absolute Ausnahme und gehen in Richtung null. Im Großen und Ganzen genießen die Einsatzkräfte in unserer Region eine hohe soziale Achtung.
Und wie sieht es mit Behinderungen bei Einsätzen aus?
Das ist in der Tat ein Problem. Wenn wir Straßen absperren – mit Fahrzeugen oder Feuerwehrangehörigen –, drängen sich Autofahrer oftmals trotzdem durch. Hier steht das Eigeninteresse der Menschen leider klar im Vordergrund. So nach dem Motto: „Ich muss da jetzt durch. Ich fahr da immer nach Hause.“
Das ist sozusagen die Sorte „rücksichtslose Egoisten“. Daneben gibt es aber die noch schlimmere Kategorie der „Gaffer“.
Vor einigen Jahren gab es im Stadtgebiet von Ravensburg einen schweren Verkehrsunfall, bei dem ein Mensch lebensbedrohlich verletzt wurde. Er wurde in einem Rettungswagen versorgt. Ein unbeteiligter Vater mit einem Sohn im Kindergartenalter stand daneben und verfolgte das Geschehen. Am Ende hob er seinen Sohn sogar noch am Fenster des Rettungswagens hoch, damit dieser was sehen konnte.
Das ist ja unglaublich.
Ich kann auch nicht verstehen, dass man so weit fallen kann. Da kämpft ein Mensch ums Überleben und dem Vater geht es nur darum, dass sein Kind was zu erzählen hat. Aus einem Unfall wird ein Event gemacht.
Woher kommt dieser Voyeurismus?
Das gab es bereits früher. Da sind die Leute halt mit dem Fahrrad hinter den Einsatzkräften hergefahren, um zu gucken, was los ist. Aber mit den sozialen Medien nimmt das heute eine ganz neue Form an.
Inwiefern?
Die Gaffer, die sofort Fotos vom Unfallort in den sozialen Netzwerken posten, werden mit Klicks belohnt. Dadurch erreichen sie eine breite Masse. Und die Masse fängt vorm heimischen Bildschirm damit an, die Einsätze zu diskutieren.
Wie meinen Sie das?
Vor ein paar Jahren noch waren es die Bordsteinkommandanten oder die Stammtische, die sich über die Einsätze ausließen. Zum Beispiel, ob der Kommandant richtig gehandelt hat oder ob die Leiter am richtigen Fenster angeleitert wurde. Das ist wie beim Fußball, jeder meint, er weiß es besser. Das Problem bei den sozialen Medien ist, dass die Nutzer – noch während der Einsatz läuft – Kommentare abgeben und Rettungskräfte maßregeln. Das Material dazu liefern ihnen die Gaffer, die Fotos posten. Dabei wird übersehen, dass sich die Einsatzkräfte vor Ort in einer Ausnahmesituation befinden und ihr Leben riskieren. Solche Diskussionen sind also nicht nur fachlich unsauber, sondern auch menschlich unfair.
Die Feuerwehrleute selbst lässt das sicherlich nicht kalt.
Die Debatten, die in den sozialen Medien gestartet werden, entwickeln eine Eigendynamik. Teilweise dringen sie bis in das Familienleben der Feuerwehrangehörigen vor. Sie müssen sich rechtfertigen, werden beleidigt und im Extremfall sogar mit dem Leben bedroht.
Wie wirken Sie dem entgegen?
Die Feuerwehren der Region sind ebenfalls in den sozialen Medien unterwegs, haben meistens sogar eine eigene Facebook-Seite. Sie hören zu und greifen in die Diskussionen ein. Die Idee ist, die Diskussionen zu regulieren. Das gelingt, indem die Feuerwehren sachliche und korrekte Informationen einbringen und so Gegenpunkte setzen.
Quelle szon.de / Bild: Jasmin Bühler